Altwerden

Das Altwerden ist nicht vorstellbar, es muss erfahren werden. Eine Hecke wächst, die nicht mehr übersprungen werden kann. Die letzten Versuche sind grotesk. Augenmaß muss davor warnen.

 

Die Würde des Alters liegt darin, die eigene Entbehrlichkeit anzunehmen. Sie zu genießen, ist eine Kunst.

 

Im Pflegeheim: Wie verbringt sie ihre Tage allein auf dem Stuhl? Sie wartet, wartet auf den Abend, der die Nacht verspricht. Unendlich ist die Nacht – bis endlich der Morgen naht und der Tag. Der Tag auf dem Stuhl. Anke: Sie zählt ihre Knöpfe, streicht das Wolltuch glatt und zählt ihre Knöpfe. „So, was machen wir jetzt? Gehen wir nach Hause?“ Dann entfaltet sie das Tuch, streicht es glatt, faltet es wieder und zählt ihre Knöpfe. „Und was machen wir jetzt?“

 

Was Jung und Alt trennt, ist die Denkrichtung. Der Alte hat keine Zukunft vor sich, er denkt zurück, er erinnert sich. Der Junge denkt nach vorn. Was früher war, hilft ihm nicht weiter. Daher sind die Kontakte zwischen den Generationen oft so problematisch. Nichts geht dem Jungen so auf die Nerven wie die Jugenderinnerungen des Alten. Und nichts ermüdet den Alten mehr, als die utopischen Äußerungen des Jungen, der alles besser machen will – wie auch er einst alles besser machen wollte.

 

Die Alte: „Kinder, Ihr habt ja keine Ahnung, wie Schokolade schmeckt!“

„Wieso, wir essen doch jeden Tag Schokolade.“

„Das ist es ja eben.“ ...

 

Interpretation von Eiswein:

Das Süße, das im Alter verbleibt, wenn der Frost das Überflüssige erstarren lässt.

 

Die Hoffnung stirbt mit der Erfüllung der Wünsche, deshalb bedarf es immer neuer Wünsche. Ohne Hoffnung zu leben lernen, bringt täglich Freuden – dann ist jedes Wetter schön.

 

Sich der Hoffnung enthalten, sie aber keinem nehmen.

 

Denk ich an meine Mutter, ergreift mich Erbarmen. Die laue Frühlingsluft, der wolkenlose Abendhimmel sprechen mir von ihrer wortlosen Traurigkeit. Weit, am Horizont lebte ihre Hoffnung. Die Heimat ihrer Hoffnung war die Ferne. Das Unerreichbare war ihr vertrauter als das, was sie umgab.

 

Tröstet mich nicht, lasst mir das Körnchen Wahrheit im Erdreich meiner Traurigkeit.

 

Die Erinnerung erfinden wir uns selbst.

 

Erinnerungen werden durch die Sinne erweckt und lassen Zeiten wieder aufleben, die sich dem Gedächtnis entzogen. Der Geruch von Benzin beim Tanken, eine Nocturne von Chopin, die kreisenden Mauersegler am Julihimmel, das Sitzen auf einer steinernen Staffel erschließen mir die Kindheit und die Jugendjahre mit ihren Zukunftswünschen. Viele wurden erfüllt und vergessen. Doch das Unerreichbare überdauert die Zeit.

 

Gelassenheit kommt von lassen. Sie ist keine gleichgültige Pose, keine überlegene Haltung. Der Gelassene will nicht beherrschen, er verzichtet auf das letzte Wort. Er wird durchsichtig wie eine Glasscheibe und es wird sich keiner in ihm spiegeln. Wer ihm begegnet, kann durch ihn hindurch ein Stück Wirklichkeit wahrnehmen.

 

Zufriedenheit genießt kein Prestige. Der Zufriedene wird übersehen. – Doch wer will schon übersehen werden?

 

Das Büßergewand genießt mehr Moralprestige als der Pelzkragen. Dabei betteln beide um Aufmerksamkeit.