GEDOK 1990

Ausstellung „Eva Zippel, Bildhauerportraits und Zeichnungen aus den Jahren 1949 – 1989“ in der GEDOK-Galerie Stuttgart vom 29. April - 26. Mai 1990.

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Einladung

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Plakat 

 

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Katalog

 

Angelika Fellmer (Katalog)

Kurt Leonhard (Einführung)

Eva Zippel, Skulpturen und Zeichnungen aus den Jahren 1947–1989

[Stuttgart] 1990.

Angelika Fellmer: Rede zur Ausstellungseröffnung am 29. April 1990

Guten Tag, sehr verehrte Damen und Herren,

liebe Freunde von Eva Zippel,

ich begrüße Sie sehr herzlich

zu der Ausstellung 'Bildhauerportraits und Zeichnungen aus den Jahren 1949 - 1989'.

 

Als wir diese Ausstellung planten, war uns bewußt, daß wir nur einen Teilaspekt aus dem plastischen und zeichnerischen Schaffen von Eva Zippel in diesem Raum zeigen können.

 

Eva Zippel ist in den 50iger, 60iger und 70iger Jahren als Bauplastikerin an die Öffentlichkeit getreten. Ihr Werdegang begann mit dem 'Stier von Besigheim', am Kraftwerk auf der Neckarbrücke, der 1952-54 einen Kunstskandal auslöste. Bei der Bevölkerung im Neckarraum und vor allem in der damaligen Tagespresse.

 

In den zwanzig darauffolgenden Jahren schuf sie über vierzig Skulpturen, Reliefs und Brunnen im Öffentlichen Raum. Diese Aufträge erhielt sie meist über Wettbewerbe. Eva Zippel hat sich aber nicht auf Bauplastik spezialisiert Es entstanden Steinskulpturen, die Holz- und Bleireliefs, die sie 1970 in der Galerie der Stadt Stuttgart vorstellte; und ich denke an die Kleinplastiken und vor allem die Portraits, die von 1949 bis heute in ihrem Schaffen eine wichtige Stelle einnehmen.

 

Wenn wir die plastische Werkübersicht hier in dieser Ausstellung auf das Portrait beschränkt haben, halten wir, glaube ich, den roten Faden in der Hand. Die Vorgehensweise, die für alle ihre Arbeiten zutrifft, ist hier besonders gut ablesbar.

 

Da ich mich selbst unter den 'Betroffenen', sprich den 'Portraitierten', befinde, habe ich den Vorgang erlebt: Sie arbeitet niemals vor dem Modell, sondern ausschließlich aus der Erinnerung. Die Ähnlichkeit entnimmt sie nicht den vorhandenen Formen. Diese behält sie nicht im Gedächtnis.

Sie erinnert sich nur an den BIick, die Sprache, die Haltung – in einem Wort: an alles, was noch gegenwärtig ist, wenn der Betreffende nicht mehr anwesend ist... "Die sicherste Art", so berichtet sie, "ein Portrait zu verderben, ist, den unsicheren Weg der Erinnerung durch den Griff nach einer Fotografie abkürzen zu wollen. Die Momentaufnahme gibt nur die augenblickliche Befindlichkeit wieder, wohingegen die Erinnerung das Gesamte hervorbringt, das eine Persönlichkeit ausmacht". (Zitatcnde) .

 

Sie bedarf der Abwesenheit der Personen, um sich den Launen der Gegenwart und des Zufalls zu entziehen. Auffallend ist daher die Alterslosigkeit der Portraits von Eva Zippel.

Meist beschäftigt sie sich viele Jahre mit einem Menschen, bevor sie ein Portrait wagt (was spontane Skizzen nicht ausschließt). Daher hat sie Portraitaufträge nur in seltenen Fällen angenommen.

 

Um beim Portrait zu bleiben: Es geht ihr nicht um das Abbild eines Menschen, sie will auch kein allgemeingültiges Sinnbild schaffen.

Psychoanalyse ist ihr ein Greuel. Jeder Mensch soll sein Geheimnis bewahren. Mit dem Portraitieren versucht sie also nicht, den Menschen aufzuschlüsseln. Sie beläßt ihn.

 

Vordergründig bedient sie sich der traditionellen Form. Erst beim genauen Hinsehen entdecken wir Formerfindungen: eine Wange als Höhle, Augen als Spiralen oder als Kristalle. Ein plastisches Vokabular, das für jede Person neu formuliert wird. Niemals Routine.

 

Eva Zippel gehört nicht zu den ' produktiven' Künstlern. Sie verfolgt ihre Themen über lange Zeit, läßt ruhen, läßt reifen. Das Experimentieren ist nicht ihre Sache. Sie beginnt eine Arbeit erst, wenn diese, wie sie sagt, 'im Kopf schon fertig ist'.

 

Der Werkstoff und die für ihn notwendige Bearbeitung werden in die Portraitidee von vorne herein einbezogen. So steht der gewachsene Stamm des Holzes für den aufrechten Charakter der 'Mutter'. Die hohl aufgebaute Terracotta, der Zementguß oder der Sandstein sind hier keine austauschbaren Materialien, sind bewußt eingesetzt.

Der Werkstoff und seine arteigene Bearbeitung werden in den Dialog einbezogen. Sie dienen als Sprache. Eva geht dabei mit dem Material genauso behutsam um, wie mit der Person.

 

Wenn Eva Zippel sich oft zu Kleinplastiken entschließt, sind es, wie sie behauptet, die räumlichen Zwänge, die sie an der lebensgroßen Ausführung hindern. Bis auf wenige, spontan entstandene Skizzen haben die Portraitminiaturen dieselbe Formstrenge wie die lebensgroßen Bildnisse. Man kann sie sich auch groß vorstellen denn sie hinterläßt auf keiner ihrer Plastiken eine individuelle Fingerspur, die der Kleinplastik den handlichen Maßstab aufdrückt.

 

In ihrem zeichnerischen Werk wird man vergeblich nach Portrait-Studien suchen oder nach Entwürfen für spätere Sk ulpturen. Gelegentliche Portraitskizzen macht sie nur "als Vorwand", wie sie sagt, "um ungeniert hinsehen zu können".

 

Es gibt sie zwar, die kräftigen Kohlezeichnungen von den Tieren aus der Wilhelma. Es gibt auch eine Menge sogenannter 'Stenogramme', aus dem Konzertsaal oder von Sitzungen aus dem Hochbauamt. Meisterhafte Karrikaturen mit spitzer Mine. Es gibt auch – Sie sehen diese Arbeiten hier auf den Fensterbänken – das Pariser Tagebuch, wo Impressionen während ihres Aufenthaltes in der Cité mit dem Filzpinsel spontan festgehalten wurden.

 

Die für diese Ausstellung ausgewählten Zeichnungen sind nicht das, was man sich unter Bildhauerzeichnungen vorstellt: es sind Zeichnungen, die mit einer Technik entstanden sind, die jede Zufälligkeit ausschließt. Sowohl die einer Materialstruktur als auch die einer eigenen Befindlichkeit. Auch hier also: keine individuellen Psychogramme! Eva Zippel stellt sich mit dieser künstlerischen Askese in Opposition zu einer zeitgemäßen Suche nach dem ICH und der Selbstverwirklichung – von der sie behauptet, sie sei eine Sackgasse. Ein Künstler sei bestenfalls ein Vermittler, ein Dolmetscher für das, was jedermann empfinden kann.

 

Ende der 60er Jahre entdeckte Eva Zippel den Rapidographen, der mit seiner unnachgiebigen Spitze einer Radiernadel gleichkommt. Die unendliche Linie, mit der sie das Blatt überzieht, modelliert die Gegenstände allein durch Verdichtung.

Mit dieser emotionslosen Technik und strengen Komposition entstehen Bilder von heiterer Gelassenheit, bei denen die ausgesparte Fläche, das Unausgesprochene,das Sagen hat.

 

Die Reihe 'Stühle', die 1980 bis 84 entstand, nimmt durch ihren erzählenden Charakter eine Sonderstellung ein. Es sind menschenleere Räume, die von der Anwesenheit der Abwesenden berichten. Die Personen haben den Raum verlassen, doch der Dialog besteht weiter. In der Zeichnung 'Dialog' zum Beispiel sitzen sich zwei sich mißtrauisch Abmessende gegenüber. Auch der 'Krankenbesuch', der im nachfolgenden Bild sein tragisches Ende findet, ist von den Abwesenden belebt.

 

Seit 1986 wendet sich Eva Zippel wi eder der Landschaft zu und den Bäumen, die für sie Persönlichkeiten sind, die miteinander in Beziehung stehen, Räume formen, und die, wie bei all ihren Zeichnungen, auf eine Lichtquelle zielen. Auch die Landschaften sind figurenleer.

 

Liebe Gäste, mit dem Versuch, auf die Portraits und Zeichnungen einzugehen und der Gesinnung nachzuspüren, die dem Schaffen zugrunde liegt, habe ich, obwohl ich es auf eine andere Weise tun wollte, ein Portrait von Eva Zippel entworfen. Einer Meisterin des Zwischenraums, des Maßes, des humanen Distanzhalten-Könnens.

 

Wir haben, gemeinsam, anläßlich dieser rückblickenden Ausstellung einen Katalog mit Werkbeispielen zusammengestellt. Diese beschränken sich auf einige Schwerpunkte aus den Jahren 1947 bis 1989. Kurt Leonhard , der schon die Anfänge in den 50er Jahren mit Interesse beobachtet hat, hat den begleitenden Text hierzu verfaßt, für dem wir ihm hier, an dieser Stelle. nochmals danken.

Um Eva gerecht zu werden, galt es, sich zu beschränken. Freiraum zu belassen. Dieser Verzicht auf 'mehr' ist bei ihr und vor allem in ihren Arbeiten nicht Ausdruck von Bescheidenheit. Dieser Verzicht ist vielmehr Ausdruck eines hohen Anspruches, in dem Eva denkt, in dem sie lebt und in dem sie arbeitet.

 

Ich hätte gerne anläßlich ihres morgigen 65. Geburtstages mehr über sie gesagt, aber ich würde ihr damit keinen Gefallen tun. So belasse ich es beim Sichtbaren.

 

Meine Damen und Herren, die Ausstellung ist eröffnet.

 

Angelika Fellmer